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Ich kann kochen

(Erschienen bei Ullstein & Co. im Jahre 1909)

Zum Geleit.

"Ich kann kochen" - wie wenige vermögen das reinen Herzens von sich zu sagen? Ja, wer legt heute überhaupt noch Wert darauf, kochen zu können? Denn um die edle Kochkunst ist es heute übel bestellt. Die jungen Damen interessieren sich für alles mögliche. Sie malen, sie spielen Klavier, sie singen, sie turnen, sie fechten, sie spielen Tennis, sie studieren Medizin, sie laufen in die Sensationsprozesse, sie schlagen sich mit dem scheußlichen Diabolo Löcher in die Köpfe: kurz, für alles haben sie Lust und Zeit. Nur am Kochherd zu stehen: pfui, wie spießig! Wie unmodern! Wie bekommt man da schmutzige Hände! Wie leidet da der Teint! ... Es verlangt gewiss kein vernünftiger Mensch von einem jungen Mädchen, von einer eleganten Frau, daß sie die Hälfte des Tages oder noch mehr am Kochherd verbringt, daß sie höchsteigenhändig Buletten dreht und Hasen spickt, daß sie am Morgen denkt: "Was machst du zu Mittag?" und am Nachmittag: "Was kochst du zur Nacht?" Nein, aber daß das Gefühl für das künstlerische Kochen so ganz abhanden gekommen ist, daß ist das Betrübende und im Interesse unserer Damen so tief Bedauerliche. Ich brauche gar nicht auf das Mittelalter zurückzugreifen, wo dieselben Hände, die sich mit dem angeblich oridinären Kochen befaßten, gleichzeitig die herrlichen Stickereien zuwege brachten, wo der Wrasen die Stimmbänder so wenig schädigte, daß sie noch für Madrigale von Luca Marenzio und für Kirchenlieder von Johann Sebastian Bach ausreichten. Nein, es gibt auch heute noch Frauen - aber zu wenig -, die am Herd so trefflich sind wie am Konzert-Flügel, und im Zusammenstellen eines kalten Büfetts so schickt wie in der kritischen Betrachtung eines Gemäldes, die uns täglich uns stündlich beweisen, daß man das Praktische mit dem Ideellen sehr wohl verbinden kann, daß das Ideal der Frau erst dann erfüllt ist, wenn sie beide Teile gleichmäßig in sich vereint, daß schließlich alles, aber auch alles, doch nur dem Willen, der Kraft, dem Eros entspringt. Aber Eros heutzutage, du meine Güte! Ja, vielleicht Erotik! Und Drang nach Bestätigung! Ja, aber nicht nach der positiven Seite! Dazu das Eine und Schlimmst bei uns in Deutschland: der Drang zu billig und schlecht! Lohnt es sich da für junge Mädchen und Frauen überhaupt noch, die Hände kunstvoll walten zu lassen, wenn ihre Männer im Restaurant fünft Gänge für eine Mark herunteressen? Muß da nicht jeder verzweifeln, der die Menschen ohne Rücksicht auf gut und schlecht, ansehnlich und unansehnlich, appetitlich und unappetitlich in die Läden rennen und nur billig - billig - billig kaufen sieht?

Leben wie somit nicht gerade in Blütejahren der Kochkunst, so muß doch auch zu Ehren der Frauen, die heute der Küche gleichgültig gegenüberstehen, gesagt werden, daß sie nicht allein die Schuld tragen, daß ihnen die Freude an der Sache zum Teil auch durch die bis jetzt bestehenden Kochbücher vergällt worden ist. Gewiß, ein Kochbuch ist in erster Linie ein praktisches Buch, ein Nachschlagebuch, ein Rezeptbuch, das sofort wieder in die Schublade zurückwandert, wenn es seine Schuldigkeit getan hat. Aber selbst auf diesem seinem ureigensten Gebiet hat das Kochbuch bis jetzt nicht das geleistet, was man billig von ihm verlangen kann. Man sehe sich doch einmal das Eros der Kochbücher an, das zurzeit seine Herrschaft in der Küche behauptet. Bis auf das Werk der Frau Hedwig Henl, das zum ersten Mal den Stoff ein bischen moderner angefaßt hat, sind es in der Hauptsache Produktionen, deren Entstehung mehrere Jahrzehnte zurückliegt und deren Verfasser längst tot sind. Diese alten Kochbücher, die in den Händen unserer Eltern sehr wertvoll waren, werden jetzt, nachdem ihre gesetzlich Schutzzeit abgelaufen ist, von allen Verlegern nachgedruckt und als Marke des laufenden Jahres in die Welt hinausgeschickt. Wer unter ihnen noch ein übriges tun will, läßt es von irgend einem Handlanger bearbeiten, d.h. es wird irgend ein Kapitelchen, z.B. über "Küche des Auslandes", hinzugefügt und hier und da ein paar Besprechungen von neueren Geräten und Maschinen eingestreut, und damit glaubt der Brave, das Opus auf den Stand der neuesten Wissenschaftlichen Forschung gehoben zu haben. Doch, ich will selbst diesen Willen zur Tat als die Tat selbst nehmen und anerkennen, daß es viele gute und zuverlässige Kochbücher gibt. Damit aber ist noch lange nicht gesagt, daß es auch gute Kochbücher sind im modernen Sinne. Denn, darüber müssen wir uns klar sein, daß zum Kochen genau so viel Talent und ursprüngliche Begabung gehört, wie zum Dichten, Malen und Komponieren, daß demnach nur der ein wahrhaft gutes Kochbuch zu liefern versteht, der den Kochkunsttrieb im Menschen, mag er weiblichen oder männlichen Geschlechtes sein, zu werden versteht. Mit anderen Worten, wenn man heut die Kochkunst etwas über die Achsel ansieht, so liegt das mit daran, daß ein bloßes Nachschlage- und Rezeptbuch dem sensiblen, farbenfreudigen Empfinden moderner Menschen nicht mehr genügt, daß die überall aufkeimende Lust und Liebe zum Kochen auf dem sandigen Boden veralterter Kochtheorie einfach verkümmert.

Von solchen Erwägungen ausgehend, sind wir darauf gekommen, die Sache mal ganz anders zu machen. Zuerst nahmen wir eine ganz neue Einteilung des Stoffes vor. Gruppieren z.B. die Davidis und die Scheibler - um nur die markantesten Vertreter der alten Schule zu nennen - das Material nach Speisesorten (Suppen, Vorspeisen, Pasteten, Puddinge, usw.) und kamen dabei in das Dilemma, von einem Gegenstand - z.B. vom Kalb - an hundert verschiedenen Stellen reden zu müssen, so erfolgt bei uns die Gliederung nach Grundstoffen. Wir sagen: Zahmes Fleisch, Wild, Fische, Gemüse, Obst, Mehl, Zucker, Gallert und Getränk und haben damit alle Speisenmöglichkeiten eingefangen. Mehr gibt es nicht. Damit basta. Die Vorzüge dieser Methode liegen auf der Hand. Einmal erleichtert sie uns den Überblick über sämtliche Speisen, dann gibt sie statt eines Sammelsuriums einzelner Teile eine Tieres das ganze Tier selbst in seinem Aufbau vom größten bis ins kleinste, endlich - und darauf kommt es am meisten an - schafft sie dem forschenden Auge ein schönes Bild und weckt das Interesse am Naturwissenschaftlichen im Kochen. Haben wir nun einmal den Weg der Darstellung nach den Grundstoffen eingeschlagen, so müssen wir auch gleichzeitig - mit Rücksicht auf den Endzweck und den knappen Raum des Buches natürlich sehr knapp - auseinandersetzen, woher sie kommen, wie ihre Genesis ist. Wir lassen also beim Zahmen Fleisch den Tierphysiologen, beim Wild den Jäger, bei den Fischen den Angler, beim Gemüse den Gemüse- und beim Obst den Obstzüchter das Wort ergreifen und dem Leser etwas über Werden und Vergehen der betreffenden Grundstoffe sagen. Der Dritte im Bunde ist dann der Arzt, der sich die Sache vom medizinischen Standpunkt aus besieht, die Nährwerte der einzelnen Stoffe angibt und über Verdaulichkeit kurz orientierende Angaben macht. Ich bemerke gleich hier, daß wir kein diätetisches Kochbuch liefern, keinen Leitfaden für Verdauungsgestörte, wie das treffliche der Frau Mattes-Jaworsta einer ist, sondern ein Kochbuch für Gesunde, und daß wir nur Winke geben, wie auch der Starke im Magen seine Verdauung zu regeln hat.

Doch sind wir damit schon auf dem Gebiet, dessen - wenn auch bescheidene - Neuanpflanzung wir für uns in Anspruch nehmen. Bleiben wir zuerst bei unserem ärztlichen Mitarbeiter, so hat er der Hausfrau außer den vielen über das ganze Buch verstreute medizinischen Winken zuvor in einem abgeschlossenen Kapitel erzählt, was das Essen im Leben des Menschen ist. Er hat ferner, was ein großer Teil der Frauen mit Dankbarkeit begrüßen dürfte, den Müttern und Kranken eine größere Abhandlung voll praktischer Winke für die vernünftige Ernährung geschenkt und sogar noch - die Vera Dernburg heischt es - ein Weniges über Kolonialzeit geplaudert. Der zweite Mitarbeiter, der aus dem reichen Schatz seines Wissens und seiner Erfahrung praktische Ratschläge erteilte, war der Verfasser des Kapitels "Die Küche", in dem alles, von der Kochkiste angefangen, bis zum Aluminiumgeschirr und dem Brennmaterial, seine richtige Beleuchtung gefunden hat. Durchaus neu und originell sind ferner die Kapitel über "Mehr, Zucker und Gallert", "Gemüse" und "Obst", letzteres namentlich bemerkenswert als erster Versuch, die moderne Konservierung durch Sterilisation in ihrem ganzen Umfange darzustellen. Endlich sind die beiden Abschnitte über "Kochkunst und Tafelwesen" und "Das Menü" zu erwähnen, ersterer ein kleines historisches Entree voll drolliger Anekdoten und kulturhistorischer Amüsements, letzterer eine Schilderung der Feste und Vergnüglichkeiten im besseren Bürgerhause. Sämtliche Artikel sind Originalarbeiten für diesen besonderen Zweck und nach Ideen des Herausgebers angefertigt.

Ganz besondere Aufmerksamkeit wurde zum Schluß den Illustrationen zugewandt, die in mehreren Hundert das Buch schmücken und erläutern. Was brachten denn die Kochbücher, die sich bisher illustriert nannten, an Bildschmuck? Ein paar Kochtöpfe und im besten Falle ein paar bunte Klatschbilder von allerhand Getier und Gewächsen, von denen man nicht wußte, ob man über sie lachen oder sich an ihnen den Appetit verderben sollte. Unsere Bilder zerfallen in drei Gruppen. Auch wir haben etliche - im Verhältnis zur Masse verschwindend wenige - Darstellungen von Gefäßen und Geräten, aber nur von solchen, die der Hausfrau neu und unzugänglich sind. Die zweite Gruppe umfaßt die Schmuckbilder, die nach Gemälden und Kupferstichen altberühmter Meister angefertigt sind und zumeist als Schlußstück eines Kapitels dienen. Die dritte - Haupt- - Gruppe aber umfaßt die vielen Illustrationen, die praktische Handgriffe aus der Herstellung der Speisen geben. Sie fixieren zumeist den dramatischen Höhepunkt eines Gerichts, sind sozusagen der Schlüssel zu seinem Gelingen, und treten in ganzen Serien auf, sobald es sich um eine Kette von Vorgängen handelt. Alle diese photographischen Aufnahmen sind in den größten Hotels und Restaurants von einem Spezialphotographen unter meiner Leitung gemacht worden, und wer erfahren will, was an Arbeit und Mühe gerade in diesen Bildern steckt, der lasse sich von diesem Herrn unsere Aventüren erzählen, aber - noch besser - mache uns diese Reise mit der Kamera durch die Küchen und Keller nach. So - und damit sei das Buch Euch, schönen und liebenswürdigen Frauen und wackeren Männern, wärmstens ans Herz gelegt. Schmeckt Euch einmal besonders ein Gericht, dessen Rezept Ihr unserem Kochbuch entnommen habt, amüsiert Euch ein Bild auf einer seiner vielen hundert Seiten, so denkt auch ein bißchen an das Dutzend Männlein und Weiblein, das im Sommer 1908 kochte - vor Schweiß und Arbeit.

Dr. Erich Urban


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Last modified: Wed Jan 15, 1997